Passionsspiele im deutschsprachigen Europa

Handbuch der Religionen, I. Grundlegende Artikel

Jochen Ramming

Passionsspiele im deutschsprachigen Europa

Zusammenfassung

Die Geschichte der Passionsspiele im deutschsprachigen Europa verlief in Wellen. Auf Hochphasen, in denen die Spiele an vielen Orten Tausende von Besuchern anlockten, folgten Phasen des Niedergangs – nicht selten ausgelöst von einem Wandel in den Frömmigkeitsvorstellungen, den die konkrete, auch von profanen Interessen geformte Aufführungspraxis nicht angemessen adaptieren konnte. Die Passionsthematik – das Leiden und Sterben Christi – fand erstmals im 13. Jahrhundert Eingang in mittelalterliche Simultanspiele. In ihrer höchsten Blüte an der Wende zur Neuzeit provozierte reformatorische Kritik einen ersten tiefen Einbruch, den erst die Gegenreformation zumindest in katholischen Gebieten beendete. In ihrem Fahrwasser konnte sich auch das 1633/34 begründete Passionsspiel von Oberammergau etablieren. Während der Rationalismus der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts fast überall zu einem generellen Verbot von Passionsspielen führte, konnte die Gemeinde Oberammergau Ausnahmegenehmigungen erwirken und ihre Spieltradition fortführen. Oberammergau bildete fortan das Vorbild nahezu aller im 19. Jahrhundert neu- und wiederbegründeten Passionsspiele, die sich nun nicht allein als fromme Schauspiele, sondern verstärkt auch als nationale Festspiele verstanden. Zwischen den Weltkriegen suchten daher junge Theatermacher – oft im Umfeld der Laienspielbewegung – nach neuen Ausdrucksformen für die Darstellung der Passion; ein Aufbruch, den die Nationalsozialisten rigoros unterbanden. Nur Oberammergau behauptete einmal mehr seine Ausnahmestellung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rangen schließlich die wenigen verbliebenen oder neugegründeten Passionsspiele mit ihrer Tradition und suchten nach neuen Legitimationsstrategien, die sie mittlerweile in der Rolle als kulturelle Zentren im ländlichen Raum gefunden zu haben scheinen.

Passionsspiel, Simultantheater, Gegenreformation, Generalverbot, Oberammergau, Nationale Festspiele, Laienspielbewegung, Kulturelles Zentrum, Ländlicher Raum

Passion plays in the German-speaking Europe

Summary

The history of the Passion plays in the German-speaking Europe went in waves. On high stages, when the games attracted thousands of visitors in many places, there were periods of decline – often triggered by a change in the conceptions of piety that the concrete performance practice, shaped by profane interests, could not adequately adapt. The Passion theme – the Passion and Death of Christ – was first used in medieval simultaneous games in the 13th century. In its heyday at the turn of the modern era, Reformation criticism provoked a first deep collapse, which only the Counter-Reformation ended, at least in Catholic areas. The Passion Play of Oberammergau, founded in 1633/34, was able to establish itself in its fairway. While the rationalism of the Enlightenment at the end of the 18th century led to a general ban on Passion plays almost everywhere, the Oberammergau community was able to obtain exemptions and continue its tradition of play. Oberammergau was from then on the model of almost all in the 19th century new and re-founded Passion plays, which are now not understood only as pious spectacles but increasingly also as a national festival. Between the World Wars, therefore, young theater makers – often in the context of the amateur movement – sought new ways of expressing the Passion; an upheaval that the National Socialists rigorously suppressed. Only Oberammergau claimed once more its exceptional position. Finally, in the second half of the twentieth century, the few remaining or newly founded Passion plays clashed with their tradition and sought new strategies of legitimacy that they now seem to have found in the role of cultural centres in rural areas.

Passion Play, Simultaneous Theater, Counter Reformation, General Ban, Oberammergau, National Festival, Amateur Movement, Cultural Center, Rural Area

62. Ergänzungslieferung / 2019 / Gliederungs-Nr.: I – 14.7.5

Newsletter abonnieren