Jüdische Jugendbewegungen

Handbuch der Religionen, III. Judentum

Barbara Stambolis

Jüdische Jugendbewegungen

Zusammenfassung

In einer gesellschaftlichen Atmosphäre des Aufbruchs entstanden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Zusammenschlüsse Jugendlicher, für die bald schon die Bezeichnung Jugendbewegung aufkam. Auch junge Jüdinnen und Juden erlebten jugendbewegte Aktivitäten als befreiend und horizonterweiternd und fanden in diesen Gemeinschaften gleichaltriger Freunde. Sie waren jedoch religiösen und seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zunehmend auch rassisch begründeten antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Diese bilden den Hintergrund für die Gründung jüdischer Jugendgruppen. Einige zeichneten sich dadurch aus, dass sie versuchten, deutsche und jüdische Traditionen miteinander in Einklang zu bringen, andere setzten im Zuge des an Anziehungskraft gewinnenden Zionismus auf die Vorbereitung zum Aufbau eines jüdischen Nationalstaats in Palästina. Der Zwiespalt zwischen jüdischer und deutscher Identität durchzieht die Geschichte jüdischer Jugendbewegungen in der Zwischenkriegszeit, in den Jahren der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft, unter den Bedingungen existenzieller Bedrohung und in anderer Weise dann auch nach 1945. Generationell und sozial unterschiedliche Erfahrungen sowie politische und gesellschaftliche Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten zu Neugründungen jüdischer Jugendgruppierungen in Deutschland, Österreich, Israel und anderen Ländern. Auch diese greifen zeitspezifische Bedürfnisse nach selbstbestimmter Freizeitgestaltung und Möglichkeiten adoleszenter Selbstfindung auf.

Jüdische Jugendgruppen, Gemeinschaften Gleichaltriger, adoleszente Selbstfindung, Antisemitismus, Zionismus, Identitätsfragen

Jewish Youth Groups

Summary

In a social atmosphere of renewal, groups of young people emerged around the turn of the 19th and 20th century, which soon became known as the youth movement. Young Jews also experienced youth-movement activities as liberating and broadening their horizons and found friends in these communities of their own age. However, they were exposed to religious and, since the last third of the 19th century, increasingly also racially based anti-Semitic hostility. These form the background for the founding of Jewish youth groups. Some were distinguished by the fact that they tried to reconcile German and Jewish traditions, while others focused on the preparation for the construction of a Jewish national state in Palestine in the course of the growing attraction of Zionism. The dichotomy between Jewish and German identity pervades the history of Jewish youth movements in the interwar period, in the years of the Nazi rule of injustice, under the conditions of existential threat and in a different way after 1945. Generationally and socially different experiences as well as political and social developments of the second half of the 20th century led to the reestablishment of Jewish youth groups in Germany, Austria, Israel and other countries. These also take up time-specific needs for selfdetermined leisure activities and opportunities for adolescent self-discovery.

Jewish youth groups, community as experience, adolescent self-discovery, Antisemitism, Zionism, questions of identity

67. Ergänzungslieferung / 2021 / Gliederungs-Nr.: III – 6.6.7.1

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