Umweltethik im Judentum und Islam – Neue Perspektiven im Verhältnis von Gott, Mensch und Umwelt

Die Entwicklung einer islamischen Umweltethik seit dem späten 20. Jahrhundert und parallele Ansätze im jüdischen theologischen Diskurs zeigen, wie beide Traditionen sich einer ganzheitlichen Theologie zuwenden, die Mensch, Tier, Pflanzen und die unbelebte Natur als Subjekte der Schöpfung betrachtet. Dieser Artikel beleuchtet die gemeinsamen Grundlagen und Praktiken in der Umweltethik beider Religionen und zeigt auf, wie diese alten Weisheiten auf moderne Umweltfragen angewendet werden.

Islamische Umweltethik – Ein Blick in die Koranischen Grundlagen

Seit den 1980er-Jahren entwickelt sich eine umweltethische Perspektive im Islam, die koranische Begriffe wie ḫilāfa (Statthalterschaft der Menschen auf Erden), fiṭra (natürliche Veranlagung des Menschen), mīzān (moralischer Maßstab im Umgang mit der Natur), fasād (Verderben und Maßlosigkeit) und tasḫīr (Dienstbarmachung der Natur) neu interpretiert. Diese Konzepte betonen die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung und fordern ein Gleichgewicht zwischen Nutzung und Schutz der Natur.

Jüdische Umweltethik – Zeitlose Weisheiten für die Moderne

Die jüdische Tradition bietet ebenfalls eine reiche Quelle umweltethischer Prinzipien. Wichtige Konzepte wie Bal Taschchit (Zerstöre-nicht-Gesetze), Tsa‘ar Ba‘alei Chayyim (Mitleid mit Tieren) und Tikkun Olam (Reparatur der Welt) zeigen, wie jüdisches Denken den Schutz der Natur und Tiere betont und auf aktuelle ökologische Herausforderungen anwendbar ist.

Verknüpfung zwischen islamischer und jüdischer Umweltethik

Die islamische und jüdische Umweltethik teilen nicht nur ähnliche Grundprinzipien, sondern auch eine tiefe Verwurzelung in der Vorstellung, dass die gesamte Schöpfung Gottes ein einheitliches, miteinander verbundenes System ist. Dieses Verständnis führt zu einer Ethik, die die gegenseitige Abhängigkeit und die Verantwortung gegenüber allen Geschöpfen betont. Beide Traditionen erkennen an, dass der Mensch ein Teil dieser Schöpfung ist und nicht über ihr steht. Dieser gemeinsame Gedanke ermöglicht einen fruchtbaren Dialog und eine Zusammenarbeit im Bereich der Umweltethik, die über die Grenzen einer einzelnen religiösen Tradition hinausgeht.

Beispiele aus der Praxis

Die folgenden Praxisbeispiele zeigen, wie jüdische und muslimische Gemeinschaften aktiv zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt beitragen. Sie verdeutlichen, dass Umweltethik nicht nur eine theoretische Diskussion ist, sondern auch in konkreten Aktionen und Initiativen umgesetzt wird. Diese Projekte verbinden religiöse Überzeugungen mit ökologischem Engagement und fördern damit einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz im Umgang mit unserer Welt.

  1. Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences (IFEES): Gegründet von Fazlun Khalid, ist die IFEES eine internationale Organisation, die darauf abzielt, Umweltbewusstsein in muslimischen und nicht-muslimischen Gemeinschaften zu fördern. Durch Projekte, die von Bildungsinitiativen bis hin zu praktischen Umweltschutzmaßnahmen reichen, setzt die IFEES umweltethische Konzepte in die Praxis um.
  2. Interfaith Center for Sustainable Development: Dieses in Jerusalem ansässige Zentrum fördert ökologiebezogene Projekte, die religiöse Traditionen respektieren und im interreligiösen Austausch entwickelt werden. Hier arbeiten Gemeinschaften verschiedener Glaubensrichtungen gemeinsam an Umweltprojekten und setzen sich für nachhaltige Entwicklung ein.
  3. Jews Go Green: Ursprünglich ein Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat sich Jews Go Green zu einer Plattform entwickelt, die Umweltbewusstsein im Kontext des Judentums fördert. Die Organisation betrachtet ökologische Fragen aus einer jüdischen Perspektive und fördert umweltfreundliche Praktiken in jüdischen Gemeinden.
  4. Islamic Conference of Environment Ministers (ICEM): Diese Konferenz zielt darauf ab, Umweltanliegen mit der Ökonomie und islamischen Finanzsystemen zu verbinden, um soziale Gerechtigkeit zu fördern. Die ICEM hat wichtige Erklärungen wie die „Rabat Declaration“ verabschiedet, die die Rolle von Kultur und Religion im Umweltschutz und in der nachhaltigen Entwicklung hervorhebt.
  5. NourEnergy e.V. in Deutschland: Diese Organisation unterstützt Moscheen bei der Umsetzung energiesparender Maßnahmen, beispielsweise durch die Installation von Fotovoltaikanlagen. Dadurch tragen Moscheen aktiv zum Umweltschutz bei und verbessern ihre Energiebilanz.
  6. Hima e.V.: Ein von Studierenden in Osnabrück gegründeter muslimischer Umweltverein, der sich durch Aktionstage zum Umweltschutz, Baumpflanzaktionen und Aufklärungsarbeit auszeichnet. Die Organisation trägt den Namen Ḥimā, was auf Arabisch „geschützter Ort“ bedeutet, und spiegelt damit die umweltethischen Werte des Islam wider.

Fazit

Die Umweltethik im Judentum und Islam zeigt, wie religiöser Glaube und ökologische Verantwortung miteinander verbunden sind. Diese Traditionen bieten wertvolle Einsichten und Praktiken, die uns helfen können, die drängenden Umweltfragen unserer Zeit zu adressieren. Indem wir diese alten Weisheiten anerkennen und in die Praxis umsetzen, können wir gemeinsam zu einem nachhaltigeren und gerechteren Umgang mit unserer Welt beitragen.

Der vollständige Beitrag ist erschienen im November 2023 im Handbuch der Religionen:

Binay, Sara & Feise-Nasr, Mona: Umweltethische Diskurse des 20. und 21. Jahrhunderts: Islamische und jüdische Perspektiven. 78. Ergänzungslieferung 2023. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka & Martin Rötting (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum [Handbook of Religions. Churches and other Religious Communities in Germany and German-speaking Countries]. Westarp Science Fachverlag, Hohenwarsleben 2023.

Schlagwörter
Islamische Umweltethik, jüdische Umweltethik, religiöse Praxis, Green Islam

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