Fußgängerstadt

Klimawandel und die Bedeutung des Fußverkehrs

Klimaprognosen bezüglich der Geschwindigkeit der Erderwärmung sind zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 2015 noch davon ausgegangen, dass das Erreichen der 1,5-Grad-Marke innerhalb der nächsten fünf Jahre praktisch ausgeschlossen werden kann. Man wusste, die Zeit war knapp und doch wurde darauf gesetzt, die Menschheit hätte noch etwas länger Zeit, bevor der Klimawandel ein womöglich unaufhaltsames Stadium erreichen würde. Doch heute, 2022, wissen wir: Die Temperaturen der Erde steigen deutlich schneller als ursprünglich erwartet. Die Wahrscheinlichkeit, bis 2026 die 1,5-Grad-Marke erreicht zu haben, liegt mittlerweile bei 50 Prozent. Dass etwas passieren muss, und zwar schnell, ist Klimaexperten schon lange klar. Besonders eine starke Reduktion menschengemachter Treibhausgasemissionen ist dringend notwendig. Allerdings sind wir von deren angestrebter Halbierung bis 2030 noch lange entfernt. Eher passiert das Gegenteil, der Anteil der Emissionen ist nämlich weiterhin am Steigen.

Einen großen Beitrag dazu leistet die Automobilindustrie. Als im Jahr 2018 extreme Temperaturen und Trockenheit überall auf der Welt eintraten, enthüllte der „Dieselgate“ (Abgasskandal), dass eine ganze Reihe deutscher Autohersteller mit Hilfe von Abschalteinrichtungen ordentlich am Betrügen war, was den Ausstoß von CO²-Emissionen anging. Doch die Branche ist zu lukrativ, als dass sich die Regierungen von Bund und Ländern von so einem Skandal wirklich abschrecken ließen. Stattdessen wird die Autoindustrie auch noch subventioniert und mit Milliardeninvestitionen gefördert. Das Geld geht nicht nur in den Bau von Autos, sondern vor allem auch in den weiteren Ausbau des Autoverkehrs. Autobahnen, Straßentunnel, Ortsumgehungen, Parkhäuser und Tiefgaragen – es gibt wohl kein Verkehrsmittel, in dessen Infrastruktur so viel Geld gesteckt wird, wie in das Auto. Dabei gibt es eine Verkehrsart, die noch wesentlich wichtiger und grundlegender ist. Eine, die bei nahezu allen Mobilitätsvorgängen direkt beteiligt ist, entweder als Hauptverkehrsmittel oder in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln beim Zu- und Abgang oder Umstieg (Intermodalität). Es handelt sich dabei um den Fußverkehr.

Das Stiefkind der Verkehrspolitik

Der Fußverkehr wie auch der Fahrradverkehr sind zwei Transportsysteme, die bei der Planung und Finanzierung der Infrastruktur einer Stadt oder eines Orts oft komplett übersehen oder stark in den Hintergrund gerückt werden. Nachdem 2017 das 200ste Jubiläum des Radverkehrs gefeiert wurde, konnte ein leichter Wandel in der Platzierung des Fahrrads innerhalb der Verkehrspolitik beobachtet werden. Zwar mahlen die Mühlen der konkreten Fahrradförderung recht langsam, doch lässt sich in immer mehr Regionen doch eine Veränderung erkennen. Leider fehlt dieses Bewusstsein noch für die Wichtigkeit des Fußverkehrs als einem weiteren Mittel, um auf Autos für kürzere Strecken verzichten zu können. Wie es auch für den Radverkehr gilt, ist der Fußverkehr sehr sensibel gegenüber den Beeinträchtigungen, die er nahezu überall und jederzeit durch den Autoverkehr und die generelle Gestaltung des Verkehrsraums erfährt. Zugeparkte Gehwege, gefährliches Gehen neben schnell fahrenden Autos, langes Warten beim Überqueren der Straße und an Ampeln, aber auch fehlende Fußgängerwege und -übergänge sowie Sitz- und Wartemöglichkeiten und Beleuchtung. Wer einmal auf die Gestaltung von Straßen, Kreuzungen und Einmündungen achtet, wird oftmals feststellen können, dass Fußgänger:innen dabei überhaupt nicht mitbedacht wurden.

Wenn sich die örtliche und bundesweiten Verkehrsorganisationen einmal dazu bekennen würden, dass sie nicht nur für Bundesfernstraßen zuständig sind, sondern genauso für die Planung von Fuß- und Wanderwegen, von innerörtlichen Hauptfußwegachsen, von Radschnellwegen und Hauptradverkehrsachsen und dass für diese wichtigen Infrastrukturen entsprechende Bundesmittel bereitzustellen sind, wäre schon mal ein Anfang getan. Die Wege hin zur Fußgängerstadt sind zahlreich, es muss nur einmal ein Schritt gesetzt werden.

Möchten Sie mehr über den Fußverkehr, dessen Geschichte, Hürden und Planung erfahren, dann empfehlen wir Ihnen Heiner und Dörte Monheims Buch „Wege zur Fußgängerstadt: Analysen und Konzepte“. Sollten Sie sich außerdem für den Fahrradverkehr interessieren, werfen Sie doch einmal einen Blick in den ersten Band der Autor:innen, welcher sich ausschließlich mit der Infrastruktur des Fahrrads befasst.

Wege zur Fußgängerstadt
Band 2 „Wege zur Fußgängerstadt – Analysen und Konzepte“ verdeutlicht die generelle Bedeutung des Fußverkehrs, belegt die vielfache Ignoranz der Verkehrsplanung gegen die Bedürfnisse des Fußverkehrs und begründet, warum die bisherige, isolierte „Flickschusterei“ nicht ausreicht, um mehr und systematische Fußgängerfreundlichkeit zu erreichen. Er benennt moderne Methoden der Fußverkehrsanalysen und zeigt auf, mit welchen Strategien und Elementen man den öffentlichen Raum für den Fußverkehr zurückerobern kann.
Prof. Dr. Heiner Monheim
Jhg. 1946, hat in Bonn und München Angewandte Geographie, Geschichte, Soziologie und Stadt- und Regionalplanung studiert. Er hat in verschiedenen Positionen in der Raumordnungs-, Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen gearbeitet.

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