Zwischen Mystik und Macht: Die Verschmelzung von Esoterik und Extremismus

Die Verflechtung von Esoterik und Rechtsextremismus ist ein faszinierendes, aber auch beunruhigendes Phänomen, das sowohl historische als auch aktuelle Dimensionen umfasst. In diesem Blogbeitrag sollen die oft verborgenen Verbindungen zwischen diesen scheinbar unvereinbaren Welten beleuchtet werden.

Historische Wurzeln und moderne Verflechtungen

Die Geschichte zeigt, dass esoterische Strömungen und rechtsextreme Ideologien seit dem 19. Jahrhundert miteinander verflochten sind. Diese Verbindung hat sich aus verschiedenen Gründen entwickelt, darunter gemeinsame Ideale wie die Suche nach einer „wahren“ Tradition oder nach elitärem Wissen. Es ist jedoch wichtig, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen: Esoterik hat viele Facetten und war nicht immer mit negativen politischen Strömungen verbunden.

Ariosophie und Nationalsozialismus: Eine gefährliche Liaison

Ein spezifisches Beispiel für diese Verschmelzung ist die Ariosophie, eine Mischung aus esoterischen, insbesondere theosophischen und völkischen Elementen. Sie prägte wesentliche Ideen, die später vom Nationalsozialismus aufgegriffen wurden. Geprägt von Persönlichkeiten wie Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels verband sie radikalen Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit mit einer vermeintlich urgermanischen Tradition. Ihre Vorstellungen von einer „ario-heroischen“ Reinrassigkeit, ihre Runendeutungen und eugenischen Phantasien beeinflussten maßgeblich das ultranationalistisch aufgeladene „Deutschtum“ des Nationalsozialismus. In der Zwischenkriegszeit erfreuten sich ariosophische Schriften großer Beliebtheit und bereiteten den gesellschaftlichen Boden für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Diese Strömungen waren nicht exklusiv für die Ariosophie, sondern spiegelten breitere historische Entwicklungen im deutschsprachigen Raum wider, so dass die Ariosophie eher als Symptom denn als direkter Einflussfaktor auf den Nationalsozialismus gesehen wird.

Nachkriegsentwicklungen und gegenwärtige Strömungen

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieben ariosophische Lehren relevant. Organisationen wie der Armanen-Orden und der Ordo Novi Templi, die auf den Lehren von List und Lanz basieren, blieben aktiv und beeinflussten sowohl die Populärkultur als auch rechtsextreme Kreise. Die Populärkultur verbreitete, angeregt durch Werke wie „Der Morgen der Magier“ und „Speer des Schicksals“, Bilder einer „esoterischen SS“ und okkulter Praktiken innerhalb der NS-Führung. Diese oft fiktionalen Darstellungen trugen zur anhaltenden Popularität des Nazi-Okkultismus bei, der sich in modernen Medien und rechtsextremen Narrativen wiederfindet.

Die Thule-Gesellschaft, die oft fälschlicherweise als der okkulte Kern der NS-Bewegung dargestellt wird, ist ein Beispiel für die Verschmelzung esoterischer und nationalsozialistischer Elemente. Die Verfolgung esoterischer Gruppen durch das NS-Regime in der Nachkriegszeit verdeutlicht jedoch eher ein ideologisches Konkurrenzverhältnis als eine harmonische Beziehung. Die tatsächlichen esoterischen Interessen einiger Nationalsozialisten fanden kaum Eingang in die öffentliche Politik, was auf ein komplexes und widersprüchliches Verhältnis hinweist.

Beispiele wie Heinrich Himmlers Interesse an Astrologie und Runenkunde oder die Beschäftigung mit dem Ariosophen Karl Maria Wiligut zeigen direkte, aber begrenzte Einflüsse esoterischen Gedankenguts auf den Nationalsozialismus. Der Einfluss Wiliguts, der innerhalb der SS weitgehend abgelehnt wurde, verdeutlicht das begrenzte, aber vorhandene Interesse einiger führenden Personen des Dritten Reiches an esoterischen Themen.

In der Nachkriegszeit verbreiteten Akteure wie Landig und Mund, ehemalige SS-Angehörige, ariosophisches Gedankengut weiter, was zeigt, dass die Verflechtung von Esoterik und Rechtsextremismus über das Ende des Dritten Reiches hinaus Bestand hatte. Diese Entwicklungen weisen auf eine kontinuierliche, wenn auch veränderte Präsenz esoterischer und rechtsextremer Strömungen in der modernen Gesellschaft hin.

Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung und die Notwendigkeit der Aufklärung

Um die komplexen Zusammenhänge zwischen Esoterik und Rechtsextremismus wirklich zu verstehen, müssen wir die historischen Kontexte berücksichtigen und uns vor vorschnellen Urteilen hüten. Eine differenzierte Betrachtung hilft uns, die tatsächlichen Gefahren zu erkennen und entsprechend zu handeln.

In diesem Sinne liegt es in unser aller Verantwortung, aufgeklärt und wachsam zu bleiben, um die subtilen Formen zu erkennen, in denen Extremismus in unsere Gesellschaft eindringen kann. Nur durch Bildung, kritische Reflexion und offene Diskussion können wir hoffen, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden und eine inklusive und tolerante Zukunft zu gestalten.

Der vollständige Beitrag ist erschienen im Handbuch der Religionen:

Strube, Julian: Esoterik und Rechtsextremismus. 55. Ergänzungslieferung 2018. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka & Martin Rötting (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum [Handbook of Religions. Churches and other Religious Communities in Germany and German-speaking Countries]. Westarp Science Fachverlag, Hohenwarsleben 2024.

Schlagwörter:

Esoterik, Rechtsextremismus, Nationalsozialismus, Neonazismus, Theosophie, Anthroposophie, Ariosophie

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