Angehörige loslassen

Peter Fenwick, Die Kunst des Sterbens: Was Angehörige lernen müssen

Manche Sterbende haben Schwierigkeiten damit, das Leben loszulassen. In zahlreichen Fällen ist es allerdings so, dass Angehörige den Betroffenen nicht gehen lassen wollen. Das ist verständlich, denn nach dem Sterben ist der Mensch für die Familie verloren. Es gibt bekanntermaßen keinen Rückweg und auch keine Kommunikation mehr. Doch die Verwandten (und Freunde) müssen trotz ihrer Trauer lernen, loszulassen und das Ende zu akzeptieren. Nur dann ist für den Sterbenden ein leichter und friedvoller Tod möglich. Peter Fenwick hat dies in seinem Buch „Die Kunst des Sterbens“ klar dargelegt.

August 2021. Natürlich kann die Familie eine Trauerbegleitung in Anspruch nehmen. Hier kann sie sich frei äußern und einen neuen Umgang mit dem Todkranken entdecken. Es ist jedoch wichtig, auch mit dem Sterbenden über seine Gedanken und Gefühle zu sprechen. Häufig scheuen umgekehrt die Kranken ebenfalls davor zurück, mit den Angehörigen über das Ende zu sprechen. Sie vertrauen sich dafür den Pflegekräften an. Sie wollen ihre Familie nicht zusätzlich belasten, denn sie wissen, dass diese jetzt bereits trauert und dass der Schmerz noch stärker werden kann. So reden Todkranke und Verwandte über alles Mögliche, aber nicht über das einzig Wichtige, das dann wie eine ständig wachsende Bedrohung im Raum steht.

Dabei sind diese Gespräche sehr hilfreich: Der Sterbende kann kommunizieren, wie es ihm im Innersten wirklich geht; die Familie spricht die richtigen Worte, um dem Angehörigen das Gefühl zu geben, dass er gehen kann. Bekanntermaßen schließen manche Menschen genau dann die Augen für immer, wenn die Verwandten nicht mehr im Raum oder einen Moment abgelenkt sind. Diese Menschen sind schon bereit zu gehen, aber sie trauen sich wegen der Familie nicht und bleiben noch länger im Hier, als sie das von sich aus tun würden. Darum warten sie quasi einen guten Moment ab, wenn sich gerade niemand um sie kümmert, und sterben erst dann.

Drei Beispiele

Peter Fenwick führt in seinem Buch einfühlsam aus, wie ein junger Mann erst starb, als seine Mutter das Zimmer verlassen hatte. Dieser fragte die Stationsschwester, ob es jetzt wohl in Ordnung wäre, zu gehen. Er selbst war schon längst bereit gewesen.

Ein anderes Beispiel: Eine alte Frau, die besonders liebevoll von ihrer Tochter und einer Gemeindeschwester gepflegt wurde, sagte eines Tages klar und deutlich sinngemäß zu ihrem bereits verstorbenen Ehemann: „Ich würde ja gern kommen, aber sie lassen mich nicht.“ Ihre Tochter besprach diese Worte mit der Gemeindeschwester. Diese riet dazu, es der Kranken ab sofort so bequem wie möglich zu machen und ansonsten das Notwendige der Pflege zu tun, aber nicht allzu viel mehr. Kurze Zeit darauf konnte die alte Dame endlich auf friedvolle Weise einschlafen.

Ein drittes Beispiel soll verdeutlichen, wie notwendig ein aktiv gelebter Abschied ist: Ein Witwer, der drei Jahre lang für seine um die Mutter trauernde Tochter da war, konnte schließlich körperlich wie mental nicht mehr. Er wurde sehr krank und erholte sich nicht mehr. Eines Tages schickte er die Tochter, die oft nach ihm sah, aus dem Krankenzimmer und sagte, sie solle sich ausruhen und ihn eine Weile allein lassen. In Wirklichkeit nahm er sich die Zeit, selbst allein zu sein, um ruhig sterben zu können.

Mit Sterbenden über den Tod reden

Diese drei Beispiele verdeutlichen sehr gut, dass Angehörige einen besonders wichtigen Part spielen. Sie sind diejenigen, die loslassen müssen, denn der Sterbende hat dies meist schon getan. Eine professionelle Trauerbegleitung kann dabei helfen, die richtigen Worte zu finden, damit der Sterbende sich öffnet und über den Tod spricht. Es gibt eine Art von sogenannten offenen Fragen, die ihn dazu ermutigen. Tatsache ist, dass der Patient zumeist weiß, dass sein Tod bevorsteht. Er traut sich aber nicht, dies gegenüber den geliebten Menschen zu kommunizieren, da er deren Reaktionen fürchtet. Umso wichtiger ist es, dass Angehörige von sich aus die richtigen Fragen stellen und Worte finden, die das Vertrauen des Sterbenden wecken.

Ein weiterer Grund für diese Gespräche ist die ungeheure Einsamkeit, unter der der Sterbende leidet, wenn er sich nicht mitteilen kann. Er hat dann eventuell niemanden, mit dem er über sein Sterben und den Tod reden kann. Dieser unhaltbare Zustand kann zu Zusammenbrüchen und Schmerzen führen. Nur über diese darf man dann reden. Das kann jedoch nicht der richtige Weg sein, denn die Patienten haben emotionale und vielleicht auch spirituelle Bedürfnisse, die artikuliert und besprochen werden sollten. Angehörige sollten die sterbende Person darum mit ihrer Gefühlswelt nicht allein lassen. Gleichzeitig müssen sie Abschied nehmen und ihre eigene Trauer annehmen. Das Ganze ist sicher nicht leicht, daher ist eine Trauerbegleitung auf jeden Fall eine sinnvolle Maßnahme.

Über den Autor

Peter Fenwick ist sowohl Neuropsychiater als auch Nahtodforscher. Sein Buch „Die Kunst des Sterbens“ spricht über viele Aspekte des Sterbens und Todes und erzählt von eigenen Gesprächen mit Betroffenen aller Seiten.

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