Trauerverhalten: Die zweite Phase

Trauerphase

Gefühlschaos und -konfrontation: Die zweite Phase des Trauerns

Jeder Mensch trauert anders – individuell. Und doch gibt es Wege, die dabei helfen können, die eigene Trauer stückweise zu bewältigen, wieder Licht am Horizont zu erkennen und auch andere Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gefühle nach dem Tod eines geliebten Menschen zuzulassen und auf eine gesunde Art und Weise zu verarbeiten.

Gefühle im Konflikt

Nach der Beerdigung eines geliebten Menschen beginnt für viele Hinterbliebene eine sehr schwere Zeit. Diese Phase ist ganz anders als die Zeit unmittelbar nach dem Verlust der Person, welche oft als ein erster Moment des Schocks und des Nicht-Wahrhaben-Wollens verstanden wird. Die Psychologin Verena Kast spricht in ihrem Trauermodell von einer zweiten Phase, von einer Zeitspanne des Aufbrechens der Emotionen.

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Die 32-jährige Julia hat vor zwei Jahren gleich zwei ihr sehr wichtige Personen innerhalb von nur einer Woche verloren. Die eine Person war ihre ältere, an Demenz erkrankte Tante, der zweite Verlust betraf eine gute Freundin, die bereits vier Jahre lang gegen eine Krebserkrankung gekämpft hatte. Nach der Beerdigung ihrer Tante, die sie fast wie in Trance erlebt hatte, wurde sie von einer Welle der unterschiedlichsten Emotionen überrascht. Tiefe Gefühle der Trauer trafen auf Wut, Verzweiflung, Angst und Einsamkeit. Teilweise konnte sie mit den sich auch mal kontrastierenden Gefühlen kaum umgehen und wusste diese nicht einzuordnen.

Ich bin nach der Beerdigung meiner Tante in ein tiefes Loch gefallen. Ich habe viel geweint und war unendlich traurig. Dann gab es wieder Momente, in denen ich mich dabei erwischte, wie ich wütend auf sie wurde. Warum hatte sie mich allein gelassen? Nach solchen Gedanken verspürte ich sofort ein schlechtes Gewissen, schließlich hatte mich meine Tante nicht willentlich verlassen. Oft saß ich dann in ihrer Wohnung, die mir kalt und leer vorkam, und fühlte mich verlassen und allein. Mir kamen gemeinsame Erlebnisse in den Sinn und ich konnte es fast vor mir sehen, wie sie in ihrem Lieblingssessel ein Buch las. Aber dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich sie so nie wieder erleben würde, dass sie nie wieder für mich da sein würde. In diesem Moment stieg solch eine tiefe Verzweiflung in mir hoch, dass ich das Gefühl hatte, darin zu ertrinken.

Julia wurde in ihrer zweiten Trauerphase von der vollen Wucht ihrer bis dahin unterdrückten Gefühle getroffen. Dabei ist es völlig normal, sich erst einmal überfordert und offen schlecht zu fühlen. Es ist wichtig, den eigenen Emotionen, und zwar allen, also auch solchen, die einem Angst machen können, einen Raum zu geben, sich zu entfalten.

Unterdrückung und Flucht vor den eigenen Emotionen

Dem 35-jährigen Lukas, Witwer von Julias verstorbener Freundin, fiel dieser offene Umgang mit seinen Gefühlen sehr schwer. Er zog sich nach der Beerdigung seiner Frau völlig zurück, wollte keinen Kontakt zu Julia und anderen Freunden. Doch gerade das Gefühl der Einsamkeit und plagende Schuldgefühle machten ihm zu schaffen. Nach Tagen des Alleinseins in der gemeinsamen Wohnung, flüchtete er sich dann auf sein Motorrad, mit dem er stundenlang ziellos durch die Gegend fuhr. Manchmal war das Gefühl der Verzweiflung aber auch so enorm, dass es Lukas jegliche Autonomie raubte und er sich darauf tagelang in seiner Wohnung einschloss, wie gelähmt von seinen Emotionen.

Immer wieder machte ich mir Vorwürfe, dass ich mehr für sie hätte tun können, um den Krebs zu besiegen. Dann wäre sie heute noch bei mir. Diese Vorstellung konnte ich einfach nicht ertragen. Also bin ich auf mein Motorrad gestiegen und einfach losgefahren – egal wohin, Hauptsache weg von diesen Gedanken. An anderen Tagen war ich so verzweifelt und ängstlich, dass ich mich nicht von der Stelle bewegen konnte. Ich wusste nicht, wie es ohne sie jemals weitergehen sollte. Meine Frau hat selbst während ihrer Krankheit so viel Freude, Kraft und Energie ausgestrahlt und alles dafür getan, mir damit zu helfen, mit der Situation umzugehen. Und jetzt ist niemand mehr hier, der mich unterstützt, der mich zum Lachen bringt, der mir Lebensmut gibt. In diesen Momenten wollte und konnte ich nur für mich sein – allein mit meiner Angst und Verzweiflung.

Nach Verena Kast kämpfen Trauernde in dieser Phase mit ganz unterschiedlichen Gefühlen: Leid, Schmerz, Traurigkeit, Wut, Zorn und Aggression, manchmal auch mit Erleichterung und Freude. Häufiger fragen sich die Betroffenen, warum ausgerechnet sie von einem Verlust betroffen sind oder womit sie das verdient haben – sie reagieren auf die empfundene Ungerechtigkeit mit Zorn auf ihre Umwelt, auf die verstorbene Person oder auf Gott. Manchmal entwickeln Trauernde aber auch quälende Schuldgefühle, die zu Depressionen führen können, wenn sie unterdrückt und nicht zugelassen werden. All diese Gefühle helfen aber, die Trauer zu verarbeiten und den Verlust zu akzeptieren. Diese Phase kann von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten dauern und ist auch davon beeinflusst, ob sich die trauernde Person ausreichend Zeit nimmt, ihre Gefühle zuzulassen und sie zu verarbeiten. Auch der Theologe Yorick Spiegel weist in seiner Phase der Regression darauf hin, wie wichtig die Verarbeitung des Erlebten ist. Er macht zusätzlich darauf aufmerksam, dass Trauernde manchmal dazu neigen, die verstorbene Person zu idealisieren, was das Erleben des Verlustes noch schmerzhafter werden lässt. Erst wenn die verstorbene Person wieder realistischer gesehen werden kann, wenn auch die weniger schönen gemeinsamen Erlebnisse wieder angenommen und zugelassen werden können, kann diese Phase überwunden werden.

Hilfe und Schmerz akzeptieren

Als Lukas es irgendwann geschafft hat, seinen Gefühlen den Raum zu geben, die sie brauchten und wieder Platz für die Unterstützung durch seine Freunde zuließ, ging es ihm nach und nach besser. Gerade seine Freunde wurden zu einer großen Hilfe für ihn, auch was die Verarbeitung seiner Emotionen anging. Sie waren für ihn da, haben seine Verzweiflung und Angst ausgehalten und ließen ihn seine Traurigkeit zeigen und zulassen. Außerdem wurde Lukas bewusst, dass er durch die Ablenkung des Motorradfahrens seine Trauerverarbeitung nur verlängert hatte und er sich dadurch nicht befreiter, sondern schlechter fühlte.

Manchmal war ich so unendlich traurig und wütend und hatte das Gefühl, niemand würde mich verstehen. Aufmunternde Worte wie „Das Leben geht weiter“ oder Ähnliches konnte ich nicht ertragen. Ich wollte dieser Traurigkeit entkommen, aber sie hat mich immer wieder eingeholt.

Um die Phase der aufbrechenden Emotionen zu überstehen, kann es helfen, seine Gefühle und Gefühlsausbrüche zuzulassen. Auch gehören traurige bis depressive Stimmungen zum Trauerprozess dazu, der Verlust eines geliebten Menschen macht schwermütig. Julia hat es geholfen, dass ihre Freunde, aber auch Kolleg:innen für sie da waren, ihr zugehört, ihre Gefühle ausgehalten haben und sie nicht ablenken wollten. Ihr war in dieser Situation nicht nach Kino, Shoppen, Ausgehen oder Wellness-Angeboten.

Ich konnte mich lange an nichts mehr so richtig freuen, alles was ich sonst gerne in meiner Freizeit gemacht habe, spielte keine Rolle mehr. Ich war traurig und oft kamen mir mitten im Gespräch einfach die Tränen – auch bei der Arbeit. Anstatt dass ich mich dafür schämen musste, gaben mir meine Kolleg:innen zu verstehen, dass ich meine Trauer nicht unterdrücken muss und sie mich nicht unangenehm darauf ansprechen würden, wenn ich das nicht wollte.

Trauernden helfen in dieser Phase schon kleine Unterstützungsangebote. Julia hat es geholfen, dass ihre Freunde für sie da waren, ihre Gefühle und Gefühlsausbrüche mit ausgehalten haben. Auch mögliche Schuldgefühle gehören zum Trauerprozess dazu. Es kann für Trauernde deshalb eine große Unterstützung sein, wenn diese wertfrei zur Kenntnis genommen und ihnen diese nicht ausgeredet, aber auch nicht bekräftigt werden. Für Julia war insbesondere hilfreich, dass sich ihre Freunde mit eigenen Erzählungen, Interpretationen und Wertungen zurückgehalten und nicht versucht haben, sie von ihren Gefühlen abzulenken.

Workshop Trauerarbeit

Angelika Brandt

Referentin

Angelika Brandt ist Arbeits- und Organisationspsychologin mit langjähriger Erfahrung als Krankenschwester. Als Berufsschullehrerin für soziale Berufe sind Themen wie Sterben und Tod sowie Trauerarbeit wichtige Bereiche, die sie mit viel Empathie und Wertschätzung vermittelt.

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